Die Priorin und der Graf – zwei Verbundene auf der Suche nach Verbündeten
Priorin Sr. Ursula Teresa Buske CCR und Wolfgang Graf zu Castell-Castell holen Tutzing in den Norden von Bayern. Sie haben einen neuen regionalen Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing gegründet: den Freundeskreis Main-Steigerwald mit Sitz im Kloster Schwanberg. Ihr Ziel: Debatten ermöglichen zu drängenden politischen Themen – und damit an eine alte Schwanberger Tradition anknüpfen.
Der Schwanberg – Ort gelebter benediktinischer Spiritualität, der Ruhe und Gastfreundschaft. Für viele Menschen rund um Kitzingen ist der 474 Meter hohe Berg mit der historischen Burganlage, der modernen Kirche und dem verwunschenen Park außerdem ein beliebtes Ausflugsziel, von dessen Spitze man weit über den Steigerwald und die angrenzenden Weinanbaugebiete blicken kann.
Der Schwanberg ist Heimat des Evangelischen Klosters Schwanberg, der Ordensgemeinschaft Communität Casteller Ring (CCR) und des dazugehörigen Geistlichen Zentrums. Hier her kommen Jugendgruppen, Familien, Schulklassen und Gäste zu Tagungen, “zur Weiterbildung und zur Neuorientierung in beruflichen und persönlichen Fragen”, wie es auf der Homepage heißt. Die Ordensgemeinschaft gründete sich 1950 im nahe gelegenen Ort Castell, heute gehören ihr 30 Frauen an. Seit 2018 leitet Sr. Ursula Teresa Buske als Priorin den Orden, in den sie 1991 eingetreten ist. Vor einem Jahr wurde sie von Ministerpräsident Markus Söder für ihre Arbeit mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.
Es ist ein warmer Tag im April. Auf den Obstbäumen auf dem Schwanberg hängen unzählige weiße Blüten dicht an dicht und locken die Bienen. Ein paar Ausflügler sind in der Mittagssonne unterwegs. Im Klosterladen ist es ruhig. Schwester Ursula sitzt im Bistro des Klosters bei Wasser und Kaffee. Sie hat sich eine Stunde Zeit genommen, um von einem neuen Projekt zu berichten, das sie gemeinsam mit Wolfgang Graf zu Castell-Castell ins Leben gerufen hat. Der Mann, dessen Familienname die Gegend prägt und der auch im Ordensnamen von Schwester Ursula anklingt, hat ihr gegenüber Platz genommen. Seit mehreren Jahren ist er nun im Ruhestand, nach vielen Jahren Tätigkeit als Agrarökonom und Bankkaufmann in Unternehmen der eigenen Familie sowie in der Entwicklungshilfe bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Die beiden haben sich zusammengetan, eine neue Dependance des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing in der Region Main-Steigerwald zu gründen. Seit Jahrzehnten sind sie eng miteinander verbunden. In der kleinen unterfränkischen Gemeinde Castell, dem Stammort der Fürstenfamilie Castell, hatte die Communität der Ordensschwestern mehrere Jahre ihren Sitz, bevor sie auf den Schwanberg zog. “Ich kenne die Communität sozusagen seit meiner Geburt”, sagt Graf Castell. Viel später sollte er unter anderem Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Klosters werden. In den vergangenen 20 Jahren kam Graf Castell vermehrt nach Tutzing, um an der Evangelischen Akademie Tagungen zu besuchen, vor allem der Politische Club gehört zu seinen Favoriten. Er trat dem Freundeskreis bei, der die Bildungsidee der Akademie in die vielen Ecken Bayerns trägt. Mehrere Dependancen wirken wie kleine Akademien vor Ort – von Aschaffenburg bis nach Weiden, von Kulmbach bis nach Herrsching.
Dass es in der Gegend um den Schwanberg bisher keinen Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing gab, wollte Graf Castell ändern. “Ich dachte mir, meine alte Liebe zu Tutzing und dem Ort hier, das ließe sich doch verbinden”, erzählt er. Der Schwanberg sei ein spiritueller Leuchtturm der Landeskirche, bei dem man noch ein bisschen Bodenhaftung mit einbauen könne. “Der Kopf des Klosters mag beinahe im Himmel sein, aber die Füße des Klosters stehen auf dem Boden und können sich auch um das kümmern, was auf der Erde passiert.”
Nach einer Verbündeten musste er nicht lange suchen, die Priorin des Klosters war von der Idee sofort überzeugt. “Ich habe das sehr gerne aufgenommen, denn der Schwanberg hat eine Demokratietradition”, erzählt Schwester Ursula. Im Mai 1849 habe es hier eine große Versammlung gegeben, bei zwischen 8.000 und 10.000 Menschen aus ganz Franken gekommen seien, um einen feierlichen Eid auf die Paulskirchenverfassung abzulegen. Anschließend, so beschreibt es Monika Conrad in ihren historischen Nachforschungen, “hat ein Fröhstockheimer Bürger vor Begeisterung seinen Gartenzaun mit den Freiheitsfarben scharz-rot-gold angestrichen. Ein anderer ist mit Frack und Zylinder durch das Dorf gerannt und hat dazu aufgerufen, sich den Freischärlern am Rhein anzuschließen.”
Die Bewegung habe zwar damals keinen Erfolg gehabt und ihre Anhänger hätten als Folge teilweise auswandern müssen, so Schwester Ursula, doch es sei das Erbe dieser “Demokratiekämpferbewegung”, in die sie sich das Kloster einreihe. Es sei eine soziale Bewegung gewesen, die zumeist aus Bauern bestanden habe, und die für Gerechtigkeit gekämpft habe.
Für Demokratie einzustehen ist Graf Castell und Schwester Ursula ein Herzensanliegen. Beide sehen es auch als eine Aufgabe der Kirche. Schwester Ursula ist es wichtig, das Menschenbild, das in der Bibel steht und auch im Grundgesetz formuliert ist, mit seinen Werten zu benennen und bewusst zu machen. “Dazu gehört Bildung, Diskurs und die Auseinandersetzung mit diesen Fragen – und zwar nicht nur auf der oberen Ebene von Politik und Wissenschaft, sondern es muss vom Volk getragen werden”, ergänzt ihr Mitstreiter.
Der unmittelbare Kontakt und die Vernetzung mit den Menschen aus der Umgebung sind beiden wichtig. Der neu gegründete örtliche Ableger trägt aus diesem Grund die Bezeichnung “Region Main-Steigerwald”. Die beiden Gründungsmitglieder hoffen darauf, bald weitere Verbündete gewinnen zu können: Menschen, die dem Verein nicht nur beitreten, sondern auch Inhalte mitgestalten. “Wir möchten einen Diskursort für die Region schaffen – jenseits der spirituellen Bildung”, sagt Graf Castell.
Zur Gründungs- und Auftaktveranstaltung am 7. Mai 2025 im Kloster Schwanberg haben sie den Publizisten Heribert Prantl eingeladen. Titel des Vortrags: “Demokratie lernen, schützen, leben – immer und immer wieder. Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf”. Das Gespräch wird moderiert von der Kitzinger Dekanin Kerstin Baderschneider.
Der Rechtsruck in der Gesellschaft und die tiefe Spaltung zwischen den Menschen beschäftigt die beiden Freunde vom Schwanberg. “Wenn wir diese Gräben einebnen wollen, dann müssen wir mit den Menschen ins Gespräch kommen”, sagt Graf Castell. Er freue sich, wenn auch Menschen kämen, die die angebotenen Themen des Freundeskreises kritisch sehen. Für den weiteren Jahresverlauf haben die Priorin und der Graf zwei Veranstaltungen im Kopf: ein Abend zum Thema Verfassungsrecht und einen weiteren mit örtlichen Vertretenden aus Regierungsparteien. Für weitere Themen sind beide offen, “Nicht Hochkultur, sondern Begegnung und Debatte zwischen Menschen, die sich engagieren möchten” möchte Graf Castell anbieten. Die Priorin sagt, es gehe ihr um die Vermittlung von christlichen Werten – nicht Bildung zur Wissensvermittlung, sondern Herzensbildung. Darüber stehe die Frage: Wie muss ich sein, dass es mir und den anderen gut geht? “Man muss von sich absehen können und trotzdem nicht zu kurz kommen.” Um das zu vermitteln, seien Gespräch und Diskussion eine gute Gelegenheit.
Dorothea Grass
Informationen zum Freundeskreis sowie zur Veranstaltung am 7. Mai 2025 im Kloster Schwanberg finden Sie hier.
Bild: Priorin Sr. Ursula Teresa Buske CCR und Wolfgang Graf zu Castell-Castell vor der St. Michaelskirche des Klosters Schwanberg (Foto: dgr/eat archiv)