Fit für die Verfassungsviertelstunde  

Seit gut einem Jahr gibt es in Bayern nun die Verfassungsviertelstunde an Grundschulen. Um angehende Lehrkräfte auf ihre neue Rolle als politische Bildner:innen vorzubereiten, bietet das Junge Forum der Akademie nun spezielle Studientage an. Sie setzen auch auf Synergieeffekte zwischen außerschulischer und schulischer Bildung.

In Bayern gibt es seit dem Schuljahr 2024/25 die Verfassungsviertelstunde. Das heißt: 15 Minuten pro Woche lernen die Schüler:innen ab der 2. Klasse die Bayerische Verfassung und das Grundgesetz kennen. Die Verfassungsviertelstunde gilt für alle Schularten und Stufen als ein neues Element in der politischen Bildung. Kinder lernen so ab der Grundschule spielerisch, wie Politik und demokratisches Miteinander funktionieren. Thüringen probiert dieses Element derzeit als Modell aus und auch in Sachsen könnte die Verfassungsviertelstunde bald in die Schulen kommen.

Neue Synergien von Schule und Akademie

Diese frühe politische Bildung erfolgt mit der Verfassungsviertelstunde meist angewandt und multimethodisch. Politische Bildung findet außerhalb der Schule in Akademien, Jugendzentren oder bei anderen Trägern seit Jahren auf diese Weise statt. Politik wird kreativ, frei und gleichzeitig zielgerichtet aufbereitet. Durch die Expertise in der außerschulischen politischen Bildung können für das neue schulische Format „Verfassungsviertelstunde“ Synergien entstehen: Außerschulische politische Bildungsträger können wertvolle Impulse geben, wie diese 15 Minuten-Slots in der Praxis des Schulalltags gestaltet sein können. Schulen und außerschulische Akteur:innen können hier zusammenarbeiten mit dem Ziel: Mehr und frühere Bildung für Politik in Schulen, idealerweise mit mehr als 15 Minuten pro Woche im Lehrplan. Kinder und Jugendliche brauchen nicht nur mehr politische Bildung, sondern auch früher. Aktuell steht Politikunterricht erst ab der 10. Klasse in Realschulen und Gymnasien im bayerischen Lehrplan. Für Realschüler:innen ist das die Abschlussklasse. Besser wäre es, schon Kinder in Grundschule oder Kindergarten mit dem demokratischen Miteinander vertraut zu machen. Die Verfassungsviertelstunde ist ein Anfang von mehr politischer Bildung in Schulen.

Eine neue Rolle für Lehrerinnen und Lehrer

Neben der Frage, wie die Verfassungsviertelstunde umgesetzt werden, eröffnet sich eine weitere, strukturellere Frage: Wie können Lehrkräfte in ihrer Ausbildung auf diese Aufgabe als politische Bildner:in zu agieren, vorbereitet werden? Diese Fragen führten zu einer neuen Kooperation der schulischen und außerschulischen Politikbildung. Das Junge Forum der Evangelischen Akademie Tutzing und zwei Seminare für Lehramtsanwärter:innen für Grundschulen starteten eine Kooperation. So fand am 15. Juli 2025 ein eigens konzipierter Studientag zur Verfassungsviertelstunde statt. Es nahmen 30 angehende Lehrkräfte an Grundschulen im Rahmen ihrer Seminare teil.

Für viele Lehrkräfte bedeutet die Verfassungsviertelstunde eine neue Rolle als politische:r Bildner:in einzunehmen. Hier können Erfahrungen aus der außerschulischen Bildung Synergien anbieten, um die eigene Haltung in dieser Rolle zu reflektieren. Außerschulische Player, wie das Junge Forum der Akademie, haben durch ihre langjährige Arbeit in politischer Bildung sowohl einen großen Methoden-Fundus als auch einen Referierenden-Pool. Dies bietet viele Chancen, um sich mit Schule zu vernetzen und synergetisch zusammenzuarbeiten. Fragen für die eigene Haltung für die Lehrkräfte können sein: Welche politischen Themen treiben mich gerade um? Wie wurde ich in meinem Leben politisch sozialisiert? Wo habe ich bereits politische Bildungsarbeit gemacht, zum Beispiel im Jugendverband, und kann nun in der Rolle als Lehrkraft darauf aufbauen? Denn Politik prägt das ganze Leben. Umso wichtiger ist es, von klein auf zu lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich in politischen Diskursen einzubringen, wie beispielsweise in der Verfassungsviertelstunde.

Ein Studientag für Reflexion und Inspiration

Der Studientag war keine Fortbildung. Er regte zu Diskurs, Kontroverse und Austausch unter Young Professionals an. Lehramtsanwärter:innen gewannen hier theoretischen Input und praktisches Erleben. Die Tagungsziele waren die Reflexion und Planung politischer Bildung an Grundschulen. Der Studientag war dreigeteilt konzipiert, die Referierenden kamen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis:

Prof. Dr. Sabine Anselm eröffnete mit einem Überblick aus der Forschung der politischen Bildung. Sie ist Professorin für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur mit Fokus auf Demokratiebildung. Anselm zeigte auf, wie wichtig Lehrpersonen sind, um Grundlagen der politischen Bildung für das demokratische Miteinander zu setzen. Eine positive Einstellung zur Demokratie werde weniger durch Wissen, denn durch Vorbilder und affektive Bindungen gefördert, so Anselm. Im Schulunterricht könne dies beispielsweise durch eine demokratische Unterrichtskultur umgesetzt werden, die diskursive Entscheidungsfindungsprozesse einübt. Für Anselm dient die Förderung von Sprachbewusstheit und Argumentationsfähigkeit dazu, kritisches Denken im Umgang mit Sprache und Meinungsbildung zu schulen. Es sei nicht ausreichend, eine eigene Meinung zu haben. Wichtig sei, diese zu begründen, zu verteidigen und die Argumente anderer abwägen zu können, so Anselm.

Die Referentin Ines Breitsameter aus dem Verein 10drei betonte die Relevanz der politischen Bildung an Schulen: „Ich sehe noch viel Potenzial darin, das Politische dort sichtbar zu machen, wo es für Schüler:innen erlebbar ist […]. Gerade Grundschulen sind ein idealer Ort, um wertebasierten Diskurs schon früh in einem gesamten Jahrgang anzuregen. Die nötige Offenheit dafür fordert allerdings Kapazitäten, die viele Lehrkräfte aktuell nicht haben. Gute externe Angebote und Fortbildungen sind da wichtig.“ Breitsameter qualifiziert Lehrkräfte für die Durchführung von innovativen Formaten der Demokratiebildung, auch um die Werte unseres Grundgesetzes in Schulen bekannter zu machen. Breitsameter bot am Studientag in der Akademie praktische Methoden der politischen Bildung an, die das Tagungspublikum testen konnte. Dadurch erhielten die angehenden Lehrkräfte direkt umsetzbare Tools zu Grundgesetz und Verfassung, die sie direkt in den Unterricht mitnehmen konnten. Darunter  war auch ein Methodenkoffer mit Übungen wie das GrundgeSÄTZE-Plakat, das GrundGedächtnis oder Sticker-Sessions. Jede Übung dauerte 15 Minuten, also eine ideale Verfassungsviertelstunde zum Mitnehmen.

Der dritte Referent des Studientags, Martin Truckses, berichtete vom demokratischen Schulalltag an der freien Schule Kapriole in Freiburg. Demokratie ist hier der Ausgangspunkt für gemeinsames Leben und Lernen in der Schule und darüber hinaus. Truckses machte ein Dilemma auf: Wie kann man als Lehrkraft demokratisch agieren und Demokratie lehren, wenn man als politische Bildner:in oder Lehrkraft in der eigenen Laufbahn selten Mitbestimmung erlebt hat? Diese Frage war für viele der anwesenden angehenden Lehrer:innen ein Aha-Moment, der zum Nachdenken anregte. Auch Truckses bot den angehenden Lehrkräften einen Methodenkoffer zum Ausprobieren und Mitnehmen in den Unterricht an.

Die Kontroverse im Beutelsbacher Konsens auch für die Schulen

Mit dem Dreiklang der Referierenden war der Studientag kontrovers gestaltet. Die Kontroverse ist ein Grundmerkmal der Politik – und somit auch für die politische Bildung elementar. Kontroverse ist laut Beutelsbacher Konsens eines der Gestaltungsprinzipien, wie Bildung für Politik geprägt sein muss. Wo Argumente ausgetauscht werden, lebt die Demokratie. Lehrkräfte können in ihrem Engagement und in ihrer Weiterbildung sowohl von Akteur:innen der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung Anregungen erhalten als auch umgekehrt.

Auch 2026 wird es einen Studientag zur politischen Bildung an Grundschulen im Jungen Forum geben. Am 10. März erwarten wir 60 angehende Lehrkräfte, die sich fit für politische Bildung machen. Dies zeigt die bereichernde, neue Synergie von Schule und außerschulischer politischer Kinder- und Jugendbildung im Jungen Forum der Akademie auf.

Julia Wunderlich
Studienleiterin für Jugendpolitik & Jugendbildung (Junges Forum), Evangelische Akademie Tutzing

Bild: (von links nach rechts) Ines Bülow, Andrea Hecht, Prof. Dr. Sabine Anselm, Ines Breitsameter, Martin Truckses, Julia Wunderlich (Foto: eat archiv)

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