Zum Tod von Kurt Masur

Der 30. und 31. Januar 1990. Für die Evangelische Akademie Tutzing begann das Jahr mit einem Höhepunkt: An diesen beiden Tagen nahmen sich hochrangige Vertreter aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Kirche der beiden deutschen Staaten Zeit, um hinter den Schlossmauern neue Antworten auf die Frage zu finden: Wie soll es mit Deutschland Ost und Deutschland West weitergehen? Die Liste der Rednerinnen und Redner war lang und liest sich wie das Who is who der großen Politik. In der Abgeschiedenheit der Akademie, fernab von aller Bonner und Berliner Betriebsamkeit, berieten über die Zukunft der beiden deutschen Staaten miteinander u.a.: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, Alt-Bundeskanzler Willy Brandt, Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Schriftsteller und Mitinitiator der Tagung Günter Grass, Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker, Sonja Schröter (Demokratischer Aufbruch), Jens Reich (Neues Forum), Ibrahim Böhme (Vorsitzender der SPD in der DDR), Ludwig Mehlhorn (Demokratie jetzt), Gerhard Bächer (Grüne), Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Bischof Gottfried Forck (Berlin/DDR) sowie Jürgen Schmude (Präses der EKD-Synode) und viele andere.

Unter den Rednern befand sich auch der Star-Dirigent und Leipziger Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, der in seiner viel beachteten, leidenschaftlichen Tutzinger Rede den Weg aufzeigte, den beide deutsche Staaten zukünftig gehen sollten, indem er an alle Politiker den Appell richtete: „Ich bitte alle Politiker, zu überlegen, wie schnell man unserem Land und unseren Menschen helfen könnte, sich in Würde und mit Selbsteinsatz aller Kräfte der Bundesrepublik so anzunähern, daß sie dann mit Stolz sagen können: Wir haben unseren Teil mit eingebracht; ihr habt uns Kredit gegeben, ihr habt daran geglaubt, daß wir arbeiten wollen. Das sehe ich als die einzige Möglichkeit unseres weiteren Zusammenwachsens …“.

Kurt Masur gehörte im Herbst 1989 zu den Unterzeichnern des Aufrufes „Keine Gewalt“, mit dem Montagsdemonstranten und Staatsgewalt zum Dialog aufgefordert wurden. Er wurde zur politischen Symbolfigur, zum „Dirigenten der Revolution“. Weltweit wurde mit diesem Titel ein Künstler gefeiert, der sich eingemischt hatte, als die Menschen in der DDR auf die Straßen zogen und ihr Lebensmotto gegen das SED-Regime skandierten: „Wir sind das Volk“.

Am vergangenen Samstag starb Kurt Masur, der ehemalige Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und frühere Leipziger Gewandhauskapellmeister, im Alter von 88 Jahren in Greenwich, Connecticut/USA.

Die Akademie wird Kurt Masur stets ein ehrendes Andenken bewahren.

Kurt Masur im Gespräch mit Alt-Bundeskanzler Willy Brandt
(Foto: EAT-Archiv)

Unterschiedliche Vorstellungen vom zukünftigen Deutschland: der Schriftsteller und Mitinitiator der Tagung, Günter Grass, im Gespräch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker (re.). Links im Bild der Bruder des Bundespräsidenten, der Friedensforscher und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker.
(Foto: EAT-Archiv)

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