Wird die Ernährung zur Ersatzreligion?

Nie waren wir in der Wahl unserer Lebensmittel so frei wie heute, nie waren die Diskussionen um die „richtige Ernährungsweise“ so kontrovers. Ob ovo-lacto-vegetarisch oder raw till 4-vegan, ob high- oder low-carb, ob Clean Eating, Paleo oder Rohkost, ob gluten-, laktose- oder zuckerfrei – Essen wird vielfach danach definiert, was es nicht enthält. Gesucht wird dabei häufig die maßgeschneiderte Ernährung. Sie soll uns individuell geben, was wir uns wünschen. Sie soll uns zeigen, wer und was wir sind. Doch kann das die Ernährung tatsächlich leisten?

Für den FAZ-Journalisten Jakob Strobel y Serra steht fest, dass Ernährung zunehmend zur Ersatzreligion wird. “Die Menschen sollten damit aufhören, Essen zu einem Glaubensbekenntnis zu machen”, sagte der FAZ-Redakteur auf der Tagung, die die Evangelische Akademie Tutzing mit der Dr. Rainer Wild-Stiftung zum Thema „Individualisierung der Ernährung“ durchführt. Essen werde heute immer häufiger als Quelle von Unglück und Angriff auf die Gesundheit gesehen. Doch statt den gesunden Menschenverstand aus der Küche zu vertreiben, von einem Ernährungstrend zum nächsten zu jagen und sich im Verzicht zu üben, plädierte der Kulinarik-Experte Strobel y Serra für mehr Freude und Genuss am Essen. Schließlich sei es “die größte und wunderbarste Quelle für alltägliches Glück”.

Einen ganz anderen Akzent in puncto Ernährung setzte der Radiomoderator und Autor Carsten Otte in seinem Vortrag „Der gastrosexuelle Mann. Kochen als Leidenschaft.“ Otte beschrieb darin eine neue Sorte Mann, die immer nur an das eine denkt: Kochen. Der gastrosexuelle Mann investiert in ausgefallenes Kochwerkzeug, kennt sich mit Sous-vide-Gartemperaturen aus und macht aus jedem Amuse-Gueule ein wahres Vorspiel. Seine Leidenschaft erwacht nicht unterm Auto, sondern in der Küche. Ihn interessieren keine PS-starken Boliden, sondern ausgefallenes Küchengerät. Klar ist: Wenn der gastrosexuelle Mann in der Küche entflammt und seine neue Geliebte die Eismaschine ist, ändert sich das Leben der Angehörigen. Aber keine Angst: diese neue Leidenschaft hat schmackhafte Vorteile für alle Beteiligten!

Ernährung wird mehr und mehr zur Ersatzreligion, meint FAZ-Redakteur Jakob Strobel y Serra.
(Foto: Schwanebeck)

Der gastrosexuelle Mann ist nicht in schnelle Autos verliebt, sondern in seine Küche, erklärt der Radiomoderator und Autor Carsten Otte.
(Foto: Mrozek)

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