“Deutsche Sicherheitspolitik” lautete das Thema des Politischen Clubs im Juni. Dass sich die Sicherheitspolitik Deutschlands nicht alleine hierzulande entscheidet, sondern direkt an der komplexen Weltlage hängt, wurde in der Tagung vom 21.-23. Juni nur allzu deutlich: Es ging um Geopolitik, die aktuelle Sicherheitslage Europas, die Situation in der Ukraine, die Nato, die Wahlen zum Europaparlament, die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreichs sowie die Wahlen in den USA im November, die Ambitionen Chinas und Russlands, den Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Verteidigungspolitik, hybride Kriegsführung, aktuelle Waffensysteme und Rüstungsprojekte, die europäische Verteidungslinie und vieles mehr. Ein Rückblick in Bildern.
Aufmacherbild: Tagungsauftakt mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer. Er war der Einladung vom Leiter des Politischen Clubs, Roger de Weck, und Akademiedirektor Udo Hahn gefolgt und mit dem Hubschrauber zur Tagung “Deutsche Sicherheitspolitik” gekommen (zum Bericht auf VorOrt-News).
Alle Fotos von Oryk Haist
Die Schweizer Juristin Sanija Ameti, forscht an der Universität Bern zum Thema Cybersecurity und internationales Recht. In ihrem Vortrag ging sie auf die Zusammenhänge zwischen Sicherheitspolitik und kritischer Infrastruktur ein und zeigte Ansätze eines gesamteuropäischen Verteidigungsmarkts auf.
Ameti ist auch Co-Präsidentin der politischen Bewegung “Operation Libero”, die gemäß eigener Aussage für einen “Umbruch in der Schweizer Politlandschaft” steht und sich und für “internationale Vernetztheit, für Freiheit, für Fortschritt, für Rechtsstaatlichkeit» engagiert. Als politische Bewegung hat Operation Libero Positionspapiere zu den Themen Arbeitsmarkt, Bürgerrecht, Europa, Lebensentwürfe, Umverteilung und Verkehr formuliert.
Der Krieg in der Ukraine sei ein Krieg gegen die Demokratie, sagte Jean Asselborn, der frühere Außenminister Luxemburgs. Asselborn reflektierte in seiner Rede die veränderte Sicherheitslage in Europa seit 2019 – damals hatte er die Rede zum Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten. Er rief Europa zu mehr Zusammenhalt auf. Um die EU zu kämpfen sei ein Kampf für Demokratie.
Jean Asselborn mit Akademiedirektor Udo Hahn. 2019 hatte der damalige Außenminister von Luxemburg die Festrede zum Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten (zum Bericht).
“Wir sind über die Jahre erzogen worden, nicht über Sicherheitspolitik nachzudenken.” Das habe sich mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 grundlegend geändert, sagte der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer zum Auftakt der Tagung.
“(Europäische) Sicherheit inmitten globaler Machtverschiebungen” war das Thema, mit dem sich General a.D. Hans-Lothar Domröse, ehemaliger Oberbefehlshaber der Allied Joint Force Command Brunssum der Nato, in seinem Vortrag beschäftigte. Die Konflikte in Ukraine und in Gaza seien “zwei Kriege, die uns unmittelbar betreffen”. Was wir momentan erleben, sei ein Wettbewerb der Systeme. Entscheidend für die Sicherheit in Europa blieben die USA.
Dr. Ulrike Franke, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris, ging auf das deutsch-französische Zusammenspiel in der Sicherheitspolitik ein. Sie beleuchtete es anhand der aktuellen Ereignisse im Vorfeld der Tagung: Die Europawahlen vom 9. Juni und den anschließenden Beschluss des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, das französische Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Je nach Ausgang der Wahl und wer zukünftig den Premierministerposten bekleidet, stellt sich die Frage nach der Rolle Frankreichs in der Nato sowie der Außen- und Sicherheitspolitik des Landes. Franke ging auch auf die gemeinsamen Rüstungsprojekte FCAS ( Future Combat Air System) und MGCS (Main Ground Combat System) ein.
Prof. Dr. Christoph Herrmann hält den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungs-
recht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau. Sein Vortrag war mit der Frage “Deutschlands Wirtschaftspolitik als Waffe einsetzen?” überschrieben. Er stellte die Sicherheitslage und Verteidigungspolitik in Deutschland und Europa in ihren geschichtlichen Kontext und beleuchtete außerdem die geoökonomische Politik: die Frage nach Rohstoffen, Energie, Geographie und Technologie. Seiner Ansicht nach ist es essenziell, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und den europäischen Binnenmarkt in seinem Mehrwert anzuerkennen.
Im Gespräch mit Stefan Kornelius, dem Leiter des Ressorts Politik der Süddeutschen Zeitung, ging es um die Zukunft des euro-atlantischen Handlungsrahmens. Auch er beschäftigte sich mit dem Ergebnis der Europawahlen vom 9. Juni und dem politischen Rechtsruck in Deutschland und Europa. “Es gibt keine Zwischenräume mehr”, sagte Kornelius zu den radikalen Unversöhnlichkeiten in der politischen Landschaft – sowohl in Deutschland, Europa als auch in den USA. Er nehme einen verstärkten Wunsch nach Eindeutigkeit wahr und äußerte die Vermutung, dass die liberalen Gesellschaften möglicherweise einen Kipp-Punkt erreicht hätten. Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei bedroht.
Debatte in der Rotunde: hier Roger de Weck im Gespräch mit Dr. Frank Sauer, Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität der Bundeswehr München sowie Head of Research des Metis-Instituts für Strategie und Vorausschau.
Sauer betreibt gemeinsam mit Dr. Ulrike Franke, dem Journalisten Thomas Wiegold und dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Carlo Masala den Podcast “Sicherheitshalber”, der sich mit Fragen der Sicherheitspolitik eingehend beschäftigt.
Dr. Frank Sauer erklärte die neue Generation von Waffensystemen, die mit Deeplearning und Künstlicher Intelligenz funktioniert. Er ging auch auf die Verteidigungsfährigkeit Deutschlands ein und forderte dringend, diese an die aktuellen Bedarfe anzupassen. Dazu sei vor allem notwendig, neue Strukturen zu schaffen, um aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr maximalen Nutzen ziehen zu können. Die bisherigen Strukturen seien “zu langsam, zu aufgebläht”, so Sauer.
Hinsichtlich des Ukraine-Kriegs müsse es das Ziel Deutschlands sein, die Ukraine so zu unterstützen, dass sich der Krieg für Russland zu einem Zeitpunkt nicht mehr lohnt. Die Ampel-Koalition der Bundesregierung habe die Aufgabe, Stabilität zu vermitteln und im Amt zu bleiben. Auf europäischer Ebene hält Sauer eine Wiederbelebung des “Weimarer Dreiecks” (Frankreich, Polen, Deutschland) für sinnvoll und sprach sich auch dafür aus, hinsichtlich der gemeinsamen europäischen Verteidigungsprojekte Weichen zu stellen, die die Verlässlichkeit dieser Projekte garantieren.
Michael Rühle, ehemaliger Leiter des Planungsreferats in der Politischen Abteilung der Nato in Brüssel, ging auf die Zukunft des Verteidigungsbündnisses ein, dass 2024 seinen 75. Geburtstag feiert. Durch den Krieg in der Ukraine werde die Nato öffentlich wieder relevanter, stehe zugleich aber vor großen Herausforderungen. Dazu gehörten die vielen militärischen Auseinandersetzungen weltweit, das Phänomen der Destabilisierung von Gesellschaften und des fehlenden inneren Zusammenhalts, die technologischen Innovationen und den Aufstieg des Populismus.
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