Jean Asselborns Festrede zum Jahresempfang 2019

Das Europäische Parlament hat sich letzten Herbst genötigt gesehen, ebenfalls ein Artikel 7-Sanktionsverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Es hat damit einen unmissverständlichen Warnruf an die ungarische Regierung gerichtet. Ich kann nur allen raten, die weiterhin versuchen die Lage zu verharmlosen, den Bericht des EU-Parlaments zu lesen. Hier wird detailliert aufgezeigt, dass die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der gemeinsamen Werte besteht. Man kann hierüber nicht einfach hinwegsehen! Auch ist es unsinnig, den Verfassern des Berichts Voreingenommenheit vorzuwerfen wie das vereinzelt geschehen ist. Zahlreiche unabhängige Experten, etwa der Vereinten Nationen, der OSZE oder der Venedig-Kommission des Europarates kommen zum selben Ergebnis.

Ich erwähnte es schon: Rumänien hat zurzeit – zum ersten Mal in seiner Geschichte – die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union inne. Dieses große, wichtige Land sollte zeigen, dass es nicht nur beim Eintrittsdatum 2007 die Kopenhagener Kriterien, also die Basisregeln der europäischen Demokratie, erfüllt hat; sondern auch heute sich nicht von ihnen entfernt. Nichts rechtfertigt einen Eingriff in eine freie, unabhängige Justiz oder ein Zuwiderhandeln gegen die Regeln der Gewaltentrennung.

Die Grundwerte sind schlicht nicht verhandelbar. Die Europäische Union ist nicht nur eine Interessengemeinschaft, sondern auch, und zuerst, eine Wertegemeinschaft und dafür müssen wir auch international einstehen.

An der Wiege der EU steht ein fundamentales politisches Bekenntnis: „gemeinsames Einbringen mit dem Ziel das Gemeinschaftliche zu stärken.“

Kommt diese Einstellung abhanden, verliert die EU ihre Seele, sie verliert ihren Kompass, ja ihre Essenz. Dies wäre eine Untat, eine totale Missachtung der kommenden Generationen.

Fazit zur Frage eins:

Am Steuer stehen alle; alle die in den Institutionen, aber vor allem in den nationalen Regierungen, Verantwortung tragen für ihre Bürger, die ja alle auch EU-Bürger sind, um mit aller Kraft und Überzeugung die Idee des Gemeinschaftlichen, der Rechtsstaatlichkeit hoch zu halten!

Europa ist nicht mit dem Schicksal einer Kanzlerin, oder eines Präsidenten oder Premierministers verknüpft – das mag stärker der Fall gewesen sein in den Gründungsjahren. Es ist die Einstellung der Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Idee, die auschlaggebend ist. Dafür gilt es demokratisch zu streiten.

Die EU nimmt keinem die Heimat, noch seinen Patriotismus; nein die EU garantiert, dass wir weiter, auch in den Wallungen des 21. Jahrhunderts uns zu unserer Heimat und als Patrioten bekennen können. Die EU distanziert sich jedoch von falschem Patriotismus, von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.

Nicht umsonst lautet das Motto der EU „In Vielfalt geeint“. Wir haben uns mit unseren vielen verschiedenen europäischen Kulturen, Traditionen und Sprachen in der EU zusammengeschlossen, um uns gemeinsam für Frieden, Demokratie und Wohlstand einzusetzen.

Ich glaube jeder ist mit mir einverstanden, wenn ich sage: Wirtschaftlich ist die EU ganz klar ein Erfolgsmodell. Man denke insbesondere an die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarkts, der seit 1993 einen freien Personen, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen allen EU-Mitgliedstaaten ermöglicht. Luxemburg und Deutschland zählen zu den Ländern denen dieses besonders zugutekam.

2019 markiert, wie sie wissen, den 20. Jahrestag der Währungsunion: Am 1. Januar 1999 wurden die Wechselkurse festgeschrieben; drei Jahre später folgte dann die Bargeldeinführung in anfangs elf Mitgliedstaaten. Mittlerweile zählte die Eurozone 19 Mitgliedstaaten und hat die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1929 überstanden. Was wäre passiert, wenn wir 19 verschiedene Währungen gehabt hätten? Welche Konsequenzen hätte die Abwertungsspirale in der EU auf die Wirtschaft gehabt? Wir sollten nicht vergessen, dass die Wirtschaft vor dem Euro immer wieder von Währungskrisen erschüttert wurde. Heute zahlen rund 338 Millionen Europäer täglich mit dem Euro, der sich zudem als die zweiwichtigste Reservewährung der Welt nach dem Dollar etabliert hat.

Meine Damen und Herren, am Steuer stehen müssen also diejenigen, die aus der europäischen Geschichte gelernt haben, die sich bewusst sind, dass Europa keine bloße Zusammenzählung von nationalen Interessen sein darf, sondern eine Union die sich für eine europäische Souveränität und somit auch für die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten einsetzt.

Um es ganz klar zu sagen: Ein Land wie Luxemburg würde sehr schnell seiner Souveränität beraubt, wenn der Nationalismus wieder Oberhand bekäme. Und ich bezweifele ob es das einzige der 27 Mitgliedstaaten wäre…

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