„Snowden“ und die Evangelische Akademie Tutzing

Erstmals in ihrer fast 70-jährigen Geschichte diente die Evangelische Akademie Tutzing als Kulisse für einen internationalen Kinofilm. Im Frühjahr 2015 entstanden hier einige Szenen zu Oliver Stones Film „Snowden“. Akademiedirektor Udo Hahn, der in der Produktion in einer Komparsenrolle zu sehen ist, schildert, wie es zum Dreh in Schloss und Park kam und wie er den Hollywood-Regisseur erlebte, der am 15. September siebzig Jahre alt wird. Kinostart des Films in Deutschland ist der 22. September.

Alles begann mit dem Anruf eines Locationscouts, der für Film- und Fernsehproduktionen nach geeigneten Orten Ausschau hält. Beim Erstkontakt im Herbst 2014 hieß es, man wolle sich die Evangelische Akademie Tutzing mit ihren Gebäuden mal ansehen, ob sie sich als Schauplatz für einen Kinofilm eigneten. Tatsächlich diente das Haus schon als Kulisse für nationale Fernsehproduktionen – etwa „Der Bulle von Tölz“ und „Forsthaus Falkenau“.

Der erste Eindruck war offensichtlich positiv, so dass weitere Besuche folgten. Um was für eine Produktion es sich handelt und um welchen Regisseur – das war lange geheim. Das Geheimnis wurde dann aber doch gelüftet, als klar wurde, dass unser Haus in die engere Wahl möglicher Drehorte gekommen war: Hollywood-Regisseur Oliver Stone hatte sich angesagt. Er wolle einen Film über den US-amerikanischen Whistleblower und ehemaligen CIA-Mitarbeiter Edward Snowden drehen. Beim ersten Besuch kam er mit wenigen Begleitern, später dann mit einer Entourage, die alle Gewerke umfasste, die man für einen Kinofilm brauchte.

Offensichtlich konnte sich Oliver Stone vorstellen, dass Schloss und Park für seine Produktion geeignet sind. Bei uns sollte ein Sommerempfang des US-amerikanischen Botschafters gedreht werden, wie er tatsächlich in dessen Residenz in Genf stattfand. Ausführlich beriet sich Stone bei seinen Besuchen mit Kameramann Anthony Dod Mantle, der einen Oscar für „Slumdog Millionaire“ erhielt. Es war ein eindrucksvolles Bild, als beide gestikulierend die Räume im Schloss und den Park abschritten und dabei die örtlichen Gegebenheiten mit dem Drehbuch verknüpften.

Wer als Kulissengeber im Gespräch ist, verpflichtet sich zum Stillschweigen. Und das gilt erst recht, wenn die Vereinbarung über den Dreh – bei uns zwei Tage im Frühjahr 2015, dazu Auf- und Abbau – geschlossen ist. Einerseits hat Oliver Stone tatsächlich ein Geheimnis um sein Vorhaben gemacht. Es trug den Codenamen „Sasha“. Wie Produzent Moritz Bormann unlängst erläuterte, habe bis zuletzt die Sorge bestanden, der Dreh könne von der NSA überwacht und ausspioniert werden. Andererseits war es eine bewusste Entscheidung des dreifach ausgezeichneten Oscar-Preisträgers Stone, den Film vor allem in Deutschland zu drehen. Neben Sicherheitsaspekten gab es die spürbare Zurückhaltung von potentiellen Geldgebern in den USA. Da war die Förderung durch den FilmFernsehFonds Bayern (FFF) mit mehr als 1,6 Millionen schon ein starkes Argument, die meisten der fast sechzig Drehtage in die Bavaria Studios zu legen.

Mit der Geheimhaltung ist es freilich so eine Sache. Für die Außendrehorte wurde sie wohl eingehalten, aber dass Oliver Stone in München und Umgebung unterwegs war, das blieb natürlich kein Geheimnis. So führte auch schnell die Spur nach Tutzing, als er nach einem Besuch der Evangelischen Akademie sich von Fernsehkoch Fritz Häring öffentlichkeitswirksam kulinarisch verwöhnen ließ.

Dann endlich war es soweit: Vor Ostern 2015 fanden die Aufnahmen bei uns statt. Das war eine sportliche Aktion: Zum einen unter den gegebenen Witterungsbedingungen im Frühjahr einen Sommerempfang im festlichen Musiksaal des Schlosses, aber auch im Park zu drehen. Und zum anderen die Logistik für ein solches Vorhaben bereit zu halten. So musste am Südbad in Tutzing ein Basislager aufgebaut werden, denn zum Produktionsteam mit gut einhundert Personen kamen noch einhundert Schauspieler und Komparsen hinzu. An diesen Zahlen lässt sich schon ablesen: Kino ist eben großes Kino. Für derartige Produktionen wird ein ungleich höherer Aufwand betrieben, als fürs Fernsehen. Das merkt man auch beim Dreh selbst. Selbst in meiner Komparsenrolle – als deutscher General, der am Empfang es US-amerikanischen Botschafters teilnahm – war es zwingend, Laufwege, Körperbewegungen, Gesten etc. einzustudieren. Es musste eben alles passen! So kann sich die Probe einer 15-Sekunden-Sequenz lange hinziehen – gerade dann, wenn eine Vielzahl von Personen sich – wie bei einem Empfang – begegnet.

Natürlich war es ein Erlebnis, Hollywood-Schauspieler Joseph Leonard Gordon-Levitt, der Edward Snowden spielt, aus der Nähe zu erleben. Und von dieser Professionalität zu lernen. Mehr noch hat mich Oliver Stone fasziniert – und Kameramann Anthony Dod Mantle. Letzterer war immer zu einem Scherz aufgelegt und nahm sich Zeit für Gespräche. Beide zeigten sich bei uns als akribische Arbeiter, die einen Ameisenhaufen souverän zu dirigieren verstanden – unterstützt von einer Vielzahl von Assistenten an den Schnittstellen, um die entsprechenden Kommandos zu geben. Wenn ich es recht sehe, musste an den beiden Tagen in der Evangelischen Akademie Tutzing das Drehbuch mehrfach umgeschrieben werden. Das Wetter zwang dazu, aber auch die Anmutung des Ortes ließ Oliver Stone immer wieder neue Ideen entwickeln.

Oliver Stone hat in seinem Leben viele Filme gedreht. Durch drei – „Platoon“, „Wall Street“ und „JFK“ – hat er die Aufmerksamkeit als „Gewissen Amerikas“ auf sich gezogen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen im Medium des Spielfilms angeprangert. Mit „Snowden“ hat er ein Thema aufgegriffen, das viele Menschen bewegt. Die Fragen, um die es geht, sind gewichtig. Und mit „Geheimnisverrat“ ist in manchen Debatten nur ein Aspekt im Blick, wohl nicht einmal der wichtigste. Die Angst vor dem Terror hat Regierungen weltweit dazu geführt, dass Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden und werden, die mit anderen Rechtsgütern konkurrieren bzw. diese schwächen oder gar ignorieren. Ob das sinnvoll und richtig ist – darüber braucht es den öffentlichen Diskurs. Die Evangelische Akademie Tutzing ist ein Ort, an dem die Lebens- und Zukunftsfragen der Gesellschaft diskutiert werden. Deshalb freut es mich ganz besonders, dass Oliver Stone unser Haus zum Drehort gemacht hat: Es passte optisch. Aber es ist auch aus inhaltlichen Gründen stimmig.

Endlich ist es jetzt soweit. Der Film kommt nun auch in die deutschen Kinos. Ich bin schon sehr gespannt! Übrigens: Unterdessen hat ein deutscher Regisseur für eine Kinoproduktion unser Haus als Kulisse gewählt. Mehr dazu bei anderer Gelegenheit…

Udo Hahn

Foto: Akademiedirektor Udo Hahn (r.) mit Hollywood-Regisseur Oliver Stone im Musiksaal von Schloss Tutzing.

Auf Bayern 2, in der radioWelt vom 22.9.2016, hören Sie u.a. ein Gespräch mit Akademiedirektor Udo Hahn über die Dreharbeiten zu dem Kinofilm “Snowden” -> hier.
Ein Interview von Rieke Harmsen mit Akademiedirektor Udo Hahn auf Antenne Bayern zum Kinothriller “Snowden” hören Sie -> hier.

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