Akademiedirektor Udo Hahn hält Kommentar “Zum Sonntag” auf Bayern-2-Radio

„Versöhnen statt spalten“

Sprache lässt erkennen, wes Geistes Kind wir sind. In der Politik spielt sie eine ganz besondere Rolle – genauer gesagt: ihr Gebrauch. Politiker und Politikerinnen wollen Themen setzen und Trends bestimmen. Dafür müssen sie die Kraft der Sprache nutzen. Und das geht negativ wie positiv.

Worte können bewegen. Aber auch verletzen. Das ist eine Erfahrung, die jeder und jede schon gemacht hat, wenn einem buchstäblich mal was rausrutscht. Dass in der Politik Auseinandersetzungen hart geführt werden und auch mal unter der Gürtellinie, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Legendär sind die Debatten, in denen zum Beispiel Herbert Wehner und Franz Josef Strauß lospolterten. Sie wussten um die Kraft der Sprache und setzten dieses Wissen machtbewusst und rhetorisch gekonnt ein. Emotionsgeladen ging es zu – gerade in Wahlkämpfen, trotz einer eigenen Schiedsstelle aller Parteien, wie sie im Bundestagswahlkampf 1980 unter dem damaligen evangelischen Bischof Hermann Kunst eingesetzt wurde. Mäßigung bewirkte sie nicht.

Aber es gab und gibt auch andere Politiker-Typen: Johannes Rau zum Beispiel. Der SPD-Politiker stellte seine Arbeit unter das Motto „Versöhnen statt spalten“ – nicht erst, als er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sondern schon zuvor als Ministerpräsident und als Kanzlerkandidat. Er war deshalb kein Leisetreter.

Mir scheint es notwendig, an diese Geisteshaltung zu erinnern. Denn die Entwicklung, die wir gerade erleben, lässt diese Haltung schmerzlich vermissen. Toleranz, Offenheit und Nächstenliebe werden von all jenen mit Füßen getreten, die mit Schaum vor dem Mund kommunizieren. Die Hassbotschaften – meist anonym – verbreiten und sich ungeniert aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ bedienen. Ihre Sprache verrät, dass es ihnen nicht um Sachfragen geht und wie man diese am besten in den Griff bekommt. Es geht einzig ums Verletzen. Darum, anderen Menschen erst einmal ihre Würde abzusprechen. Wie soll da ein Dialog entstehen?

Gerade jene, die sich mit großer Leidenschaft auf das Abendland berufen, auf die jüdisch-christliche Kultur, scheinen aus der Liste der Zehn Gebote zwei Gebote gestrichen zu haben: „Du sollst nicht töten.“ Dazu braucht man kein Messer, das geht auch mit Worten. Und: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Auch Lügen und üble Nachrede verletzen, und zwar das Persönlichkeitsrecht von Menschen.

Im US-Wahlkampf waren Grenzverletzungen zu erleben, die einer Demokratie schlecht bekommen: Nationalismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus wurden und werden gezielt eingesetzt. Wie es scheint, handelt es sich um eine Entwicklung, die sich weltweit Bahn bricht.

Wenn nicht alles täuscht, gerät die Politik zunehmend in die Situation eines Dauerwahlkampfes, der Differenzierungen allzu rasch untergehen lässt. Unter dem Zustand der Dauerregung, dem Zwang stets Aufmerksamkeit, Interesse und Überzeugungskraft zu gewinnen, wird die Polarisierung geradezu unausweichlich.

Diese Automatismen werden durch Social Media gefördert. Sie können eben auch die negative Kraft von Sprache verstärken und zu „asozialen Medien“ werden, in denen nicht mehr die Verständigung, sondern die Verdammung, die Verurteilung das Ziel sind, wie jüngst der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, zu recht beklagte.

„Versöhnen statt spalten“ – das klingt manchem vielleicht zu bieder. Soll man denn gar nicht mehr streiten? Doch – aber bitte fair. Und mit dem Ziel, den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu fördern. Das nützt am Ende allen. Und daran müssen die Akteure unserer Gesellschaft, ob in Politik, Wirtschaft, Kultur oder Medien sich messen lassen.

Aber wie macht man das – versöhnen statt spalten? Eine gemeinsame Schiedsstelle wie die von 1980 wird es heute nicht mehr geben können. Facebook, Twitter, Youtube, Google & Co verbreiten Hatespeech fleißig weiter, anstatt sie zu unterbinden. Und wenn sie es doch tun, dann mit Verzögerung. Eine Schiedsstelle aber tragen wir alle in uns, jeder Einzelne – nämlich unser Gewissen, vor dem wir uns verantworten müssen: nicht nur unsere Taten, sondern auch unsere Worte. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert“, schreibt der Prophet Micha im Alten Testament: „nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben“.  Man könnte auch sagen: fair sein und für Fairness sorgen – zum Beispiel durch verantwortliche Sprache.

Den Hörfunkbeitrag “Zum Sonntag” von Akademiedirektor Udo Hahn hören Sie – > hier.

Foto: Akademiedirektor Udo Hahn (c) Haist

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